26. April 2012
Interview mit Asiem El Difraoui von der Stiftung Wissenschaft und Politik über die anstehenden Präsidentschaftswahlen in Ägypten
– Von John Dyfed Loesche –
Anlässlich der Bekanntgabe der Kandidatenliste für die anstehende Präsidentenwahl in Ägypten im Mai sprach dapd mit dem Nahost-Experten Asiem El Difraoui von der Stiftung Wissenschaft und Politik. El Difraoui geht davon aus, dass die Streitkräfte die Übergabe der Macht an eine zivile Regierung solange unterstützen, wie sie ihre Machtposition nicht gefährdet sehen. Im Gespräch mit dapd-Redakteur Dyfed Loesche erklärt er, warum es bislang keinen eindeutigen Favoriten gibt.
Werden die ägyptischen Streitkräfte ihre Macht abgeben?
Ich bin der Meinung, so wie viele Ägypter auch, dass die Militärs kein Interesse daran haben, direkt Macht auszuüben. Wie oder wann sie die Macht formell übergeben werden, hängt davon ab, in wieweit sie ihre starke Position und Privilegien sichern können. Es geht darum, dass die Armee weiterhin ein Machtfaktor in der ägyptischen Politik bleiben will und vor allem auch Kontrolle über den militärisch-industriellen-Komplex nicht gestört werden soll. Es geht um Kernthemen wie die Offenlegung des Militärbudgets und die völlige Unterstellung unter eine zivile Regierung, gegen die sich die Militärs stemmen. Sie sind vermutlich nicht dagegen, die Zivilverwaltung und das Tagesgeschäft an eine gewählte Regierung abzugeben und wollen sich aber direkten parlamentarischen Kontrolle zu entziehen.
Würden Sie sagen, die Streitkräfte nutzen die fragile politische Situation zu ihren Gunsten aus?
Das Militär unter Mubarak hatte einen großen Rivalen, die Staatssicherheit und die Mubarak-Söhne und ihr Clan. Beide sind jetzt weg. Jetzt versucht das Militär, die alte Machtposition zu sichern, eventuell sogar auszubauen. Sie haben noch keine wesentlichen Versprechen an das Volk gebrochen.
Jedoch wurden acht Kandidaten vom Antritt zur Präsidentschaftswahl ausgeschlossen?
Die meisten Ägypter beschuldigen das Militär, sie versuchten, die Wahl zu manipulieren, damit sie ein ihnen genehmen Präsidentschaftskandidaten bekommen, der ihre Machtposition nicht gefährdet. Wenn das Militär mit Druck auf die Richter, Kandidaten eliminieren kann, werden sie davon gebrauch machen. Interessanterweise wurden Kandidaten von allen politischen Fraktionen gestrichen, von den Salafisten über ehemalige Gegenspieler aus der Staatssicherheit bis hin zu Kandidaten der Muslimbrüder. Das Militär kann sich mit jedem arrangieren, der seine Macht und Pfründe nicht infrage stellt.
Ist das am ehesten Amr Mussa, der unter Mubarak Außenminister war?
Das Militär wäre auch bereit, mit der Muslimbruderschaft oder mit dem Aussteiger aus der Muslimbruderschaft, Abdel Moneim Abul-Fotuh, zu kooperieren. Das Militär ist nicht politisch. Doch wie man bei den Demonstrationen der vergangenen Tage gesehen hat, ist das Volk nicht mehr bereit, die Vormachtstellung des Militärs zu akzeptieren. Die Militärs haben sich seit des Sturzes von Mubarak unbeliebt gemacht. Vor etwas über einem Jahr wurden sie noch als die Helden Ägyptens gefeiert.
Welche Rolle spielen die radikaleren Salafisten?
Sie sind religiös und radikal, ja. Aber niemand weiß, was für eine Politik die Salafisten verfolgen würden, ob das auch eine wirtschaftliche radikale Politik wäre. Es ist eine extrem populäre Bewegung, vor allem bei den ärmeren Ägyptern. Die Partei hat sich politisch nicht profiliert, aber einige Skandale hinter sich. Ob diese Bewegung überhaupt zusammenhalten kann, ist eine wichtige Frage. Es ist eine improvisierte Partei mit ganz unterschiedlichen Komponenten. Sie hat in so kurzer Zeit so viel Erfolg gehabt, dass man nicht weiß, was für Strömungen sich innerhalb der Partei verbergen, wenn es um ganz konkrete Entscheidungen geht – etwa um soziale Gerechtigkeit, das Bildungssystem, um Außenpolitik. Es stellt sich die Frage, ob es sich bis heute eher um eine Bewegung und nicht um eine Partei handelt, die schnell auseinanderbrechen kann, wenn sie Regierungsverantwortung übernimmt.
Werden die Salafisten aus dem Ausland, beispielsweise Saudi-Arabien finanziert?
Ausländische Staaten dürfen laut ägyptischem Recht keine Parteien finanzieren. Aber in Ägypten wird überall gemunkelt, dass die Salafisten von privaten Spendern aus Saudi-Arabien und Katar erhebliche Summen bekommen, sonst könnten sie nicht ihren teueren Wahlkampf und die Spenden ans Volk finanzieren.
Es droht also kein Kalifat in Ägypten?
Das kann ich mir schwer vorstellen. Das ginge zudem nur, wenn alle muslimischen Staaten mitmachten. Ägypten ist zudem massiv von ausländischer Wirtschaftshilfe und von Einnahmen aus dem Tourismus abhängig. Sich vom Ausland durch radikale Politik zu isolieren, hätte sofort wirtschaftliche Konsequenzen und würde für sehr viel Unmut im Volk sorgen.
Gibt es einen klaren Favoriten für die anstehende Wahl?
Für viele Ägypter, die zum ersten Mal wählten, war es kein Problem, bei den Parlamentswahlen mit der Erststimme einen weltlichen Kandidaten und mit der Zweitstimme einen Salafisten zu wählen. Die Ägypter waren zunächst einmal stolz darauf, überhaupt wählen zu können, deswegen ist die Präsidentschaftswahl weiter offen. Vielleicht sagen sie, sie wollen Amr Mussa, weil er ägyptische Interessen als ehemaligen Außenminister nach außen sehr gut vertreten kann und viel Geld hereinholen kann. Vielleicht sagen sogar die salafistischen Wähler: ‚Wir wolle einen repräsentativen Kandidaten und wählen den ehemaligen Muslimbruder Abul-Fotuh!‘ In Ermangelung von präzisen Umfragen ist vieles möglich.
Dieser Text wurde ursprünglich im April 2012 von der dapd veröffentlicht.
Schlagwörter: Ägypten, Arabischer Frühling, Interview, Militär
© 2024 John Dyfed Loesche | Theme by Eleven Themes